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Die lutherische Gemeinde in Prawdinsk (Friedland) wartet

Die Gemeinde Prawdinsk ist startbereit

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Man wartet auf grünes Licht

 

L a d u s c h k i n -- Anfang August galten noch die harten, durch die Epidemie ausgelösten Bestimmungen: In der Ev.-Lutherischen Gemeinde Prawdinsk (Friedland) standen alle Räder still. Doch die Räder sind keineswegs verschwunden: Mit wenigen Handgriffen könnte die Gemeinde wieder loslegen. Pandemiegerecht stehen die Stühle über den gesamten Gemeindesaal verteilt; Gemeindebüro und –räume sind aufgeräumt und einsatzbereit. Mir kam der liturgische Satz in den Sinn: „Kommt, es ist alles bereit!“

 

Gemeindeprediger Willi Frohlow betont, daß es sich um eine völlig neue Erfahrung für die Gemeinde handelt. „Wir waren es gewöhnt, daß praktisch an jedem Sonntag jemand aus dem Ausland uns besuchte.“ Nun herrscht seit dem 15. März Ruhe. Der Wegfall von Gottesdiensten hatte auch zur Folge, daß die finanziellen Einnahmen fast auf null zusammenschrumpft sind. „Auch wenn wir keine Gottesdienste haben,“ beschwerte sich der Prediger, „fallen die üblichen Kosten für Strom und Wasser an.“

 

Pastor Frohlow nimmt die Verfügungen des Staates ernster als viele seiner Mitbürger; im Gebiet Kaliningrad gibt es mancherorts bereits kleinere Gottesdienste. Bis die Ampel offiziell auf Grün wechselt, ist jedoch mit Gottesdiensten in Prawdinsk nicht zu rechnen. Die Vorsicht hängt u.a. damit zusammen, daß nicht alle gemeindebezogenen Fragen juristisch geklärt sind. Auch der übermächtige Nachbar nebenan – das riesige Fleischkombinat – macht es dem kleinen Gegenüber nicht leicht. Über Erdgas verfügt der Nachbar in Hülle und Fülle, doch in dessen Genuß ist das lutherische Gemeindehaus noch nicht gekommen.

 

Es ist die pfiffige Entdeckung des Alexander Graham Bell, die das Gemeindeleben nicht einschlafen läßt. Bei Willi klingelt das Telefon ständig. Webseiten und Zoom-Sitzungen sind der Gemeinde eine Überforderung; das Telefon ist das Niveau der Technik, das die älteren Glieder der Gemeinde noch bewältigen können. Doch in einem Falle mußte der Pastor erst aus Deutschland erfahren, daß bei einem Gemeindeglied der Brunnen ausgefallen ist. Nun bringt er der Frau wöchentlich Wasser in abgefüllten Flaschen. „Gerade die älteren Geschwister sind sehr stark auf die Gemeinschaft angewiesen,“ versicherte der Pastor. Unter den lutherischen Geistlichen und Gemeindevorstehern im Gebiet besteht ein ausgearbeitetes Telefonnetz.

 

Unter den vollamtlichen Pfarrern ist die in Bolschaja Poljana (Peterswalde) wohnende Lena Kurmyschowa für Prawdinsk zuständig. Der pensionierte Pastor Alexander Burkhart aus Kaliningrad nimmt gelegentlich einen Predigtdienst in Prawdinsk wahr.

 

Willi Frohlow erinnerte sich daran, daß sich die Gemeinde, als es 1994 losging, kaum vor Besuchern retten konnte. „Damals zählten wir 70 Familien – das waren mehr als 210 Personen gewesen.“ Nach unzähligen Ausreisen (west- und himmelwärts) sind nur noch 20 Mitglieder in etwa acht Familieneinheiten geblieben. „Früher hatten wir Kindergottesdienste mit 50 Kindern.“ erzählte er. „Heute haben wir etwa fünf Kinder.“ 

 

Im 16 Kilometer entfernten Domnowo (Domnau) fand am 2. November 2016 der letzte Gottesdienst in der Oberetage der einstigen „Scherwitzschen Mühle„ statt. Das geschah im Zeitraum des Ausscheidens des langjährigen Förderers Fritz Schlifski (1932-2019 - Langenhagen) und der Auswanderung des Gemeindevorstehers Alexander Ehrstein. Drei betagte Damen von dort werden seitdem zu den Gottesdiensten nach Prawdinsk gebracht. Erfreulicherweise besteht der Lebensmittelladen in der heute unter den Namen „Gerda-Maria“ bekannten Mühle weiterhin. Er wird betrieben von Natascha Frohlowa, der jüngeren Tochter des Ehepaars Frohlow. Natascha wohnt aber in Prawdinsk.

 

Hoffnungen

Die größte Zukunftshoffnung besteht einfach in dem Wunsch, überhaupt wieder Gottesdienst feiern zu können. „Natürlich wollen wir vor allem, daß die Gemeinde wieder wächst,“ meinte der Pastor. „Aber dies alles hängt vom Allerhöchsten ab; da können wir selber wenig tun.“ Er könnte sich vorstellen, daß die erzwungene, geistliche Dürre zu einem neuen Aufbruch führt. Vielleicht könnten sich die Jahre nach 1990 in gewisser Weise wiederholen.

 

Zum Pfund der Gemeinde gehört die Tatsache, daß die Großfamilie Frohlow eng beieinander bleibt. Alle drei Kinder wohnen vor Ort. Die ältere Tochter, Elvira Schpilewskaja, ist Krankenschwester, der Sohn, ein „handwerklicher Alleskönner“. Der Ehemann von Elvira, Jewgeni Schpilewski, nimmt aktiv am Gemeindeleben teil. Pastor Willi erzählt, daß eine Enkelin immer wieder fragt: „Opa, wann gibt es mal wieder Gottesdienst?“ Ein älterer Enkel läßt sich in Kaliningrad zum Marineoffizier ausbilden: „Unter seinen Kameraden betont er immer wieder, daß er Lutheraner sei.“

 

Zu den großen Träumen der Prawdinsker gehört die Hoffnung, daß sich einmal wieder eine Partnergemeinde findet. Mit der Gemeinde der Potsdamer „Erlöserkirche“ bestand eine äußerst hilfreiche Partnerschaft; doch mit dem Ableben des dortigen „Machers“ ist die Verbindung eingeschlafen. Dabei handelte es sich um den in Insterburg geborenen Erwin Motzkus (1932-2010), der von 1990 bis 1994 als Potsdamer Oberbürgermeister wirkte.

 

In unserem Gespräch verwies Willi Frohlow wiederholt auf den Pfarrer Erhard Wolfram, der von 1999 bis 2002 als Propst in Kaliningrad diente. Beim Umbau der ehemaligen Mensa zum Gemeindehaus hatte Propst Wolfram immer wieder – auch über das Jahr 2002 hinaus - für die erforderlichen Finanzen gesorgt.

 

Kontakte

Willi Frohlow kam als Kind deutscher Eltern 1949 im kasachischen Dorf Aljoschinka dicht an der russischen Grenze zur Welt. Doch seine prängenden Jahre verbrachte er in der Großstadt Zelinograd (heute Nur-Sultan). Er arbeitete lange als Facharbeiter im Bergwerk. Im Jahre 1994 siedelte die Familie nach Prawdinsk um; schon im Jahr darauf wurde er Vorsteher der Gemeinde. Nach einer Ausbildung im Seminar Nowosaratowka bei St. Petersburg wurde er 2014 vom Berliner Pfarrer Michael Passauer zum Prediger ordiniert.

 

Frohlow ist am besten zu erreichen über die Handynummer: +7 906 237 1147, dafür kann man auch Whatsapp verwenden. Emails an die Anschrift „buyalskaya.1971@mail.ru„ werden weitergeleitet. Er und die Gattin Nadia wohnen in der Stadt - nicht im Gemeindehaus. Der Pastor spricht ein wenig Deutsch.

 

Gottesdienste sollen wieder an jedem Sonntag um 10:00 Uhr durchgeführt werden. Aus verkehrstechnischen Gründen ist die Gemeinde bemüht, sämtliche Veranstaltungen auf den Sonntag zu verlegen.

 

Dr. phil. William Yoder
Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, den 8. August 2020

 

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