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Vitali Mohr der neue lutherische Geistliche in Wladiwostok

Die ersten beiden Fotos von der Pauluskirche stammen von April 2018. Die Fotos von Vitali Mohr und der nagelneuen orthodoxen Kathedrale auf dem Marktplatz wurden im Juli 2021 aufgenommen. Alle Fotos stammen von Yoder.

 

Abgänger von Hermannsburg haben im Ausland zu dienen

 

L a d u s c h k i n -- Seit Anfang 2021 hat die bekannte lutherische „Pauluskirche“ der fernöstlichen Stadt Wladiwostok einen neuen Pastor: den frischvermählten, 1976 geborenen Vitali Mohr („Moor“ auf Russisch). Seine feierliche Einführung fand am 14. Februar 2021 statt. Er wurde damit Nachfolger des Hamburger Pfarrers Manfred Brockmann, der seit 1992 dieses Amt innehatte und wesentlich zum Wiederaufbau der Wladiwostoker Gemeinde und Kirche beitrug. Brockmann (geb. 1937) und seine russische Ehefrau sind weiterhin in der Stadt wohnhaft. Erst im April 2021 heiratete Mohr in Tomsk Natalia.

 

Eigentlich sind es zwei Frauen, dem Heiligen Geist und einem Missionar aus Deutschland zu verdanken, daß Vitali Mohr den Weg zur Kirche fand. Bei den Frauen handelt es sich um seine lutherische Mutter und Großmutter, die ihm in seinen jungen Jahren in der Stadt Barnaul/Altai den Glauben vermittelten. Etwa 1997 erfuhr er dann über den örtlichen Rundfunk, daß das Barnauler Deutsch-Russische Haus vorhatte, mit lutherischen Gottesdiensten anzufangen. Zweitweilig dafür zuständig war Friedrich Gerber, ein Missionar aus Mainz.

 

An der Barnauler Universität schaffte Mohr den Abschluß als Germanisten und begann im Deutsch-Russischen-Haus zu arbeiten. Doch schon 2002 entschieden Mutter und Sohn, gemeinsam nach Deutschland auszuwandern; eine Wiederkehr nach Rußland war nicht vorgesehen. Entsprechend bewarb sich der Theologe um die deutsche Staatsbürgerschaft; heute verfügt er über zwei Reisepässe. Vorerst lebten Mutter und Sohn in Berlin-Spandau, doch bald zog er zur Verwandtschaft im Hamburger Raum um. Seine Mutter wohnt weiterhin in Berlin.

 

Es war u.a. auch Pastor Gerber zu verdanken, daß Vitali Mohr umgehend mit einem Theologiestudium am bekannten, 1849 gegründeten „Missionsseminar Hermannsburg“ in der Lüneburger Heide begann. Dieses Studium zog sich dann aus privaten Gründen in die Länge – erst 2011 schaffte er den Abschluß. Wladiwostok ist für Mohr kein unbekanntes Pflaster, denn nach diesem Abschluß machte er dort ein fünfmonatiges Praktikum unter der Leitung von Pfarrer Brockmann. Daraufhin erfolgte ein dreijähriges Vikariat in der Gemeinde Cadenberge im Raum Cuxhaven – diese reguläre, deutschsprachige Gemeinde gehört der Hannoverschen Landeskirche an. Im Jahre 2015 wurde er dann als Pastor nach Rußland in die Gemeinde Tomsk (nördlich von Nowosibirsk) berufen.

 

Warum war Vitali Mohr überhaupt für eine Rückkehr nach Rußland, fern von der Verwandtschaft in Deutschland, offen? Seine schlichte Antwort: „Hermannsburg hat eine missionarische Ausrichtung und bei den Absolventen wird davon ausgegangen, daß sie im Ausland dienen.“ Damals gehörte Rußland zu den höchsten Prioritäten des Seminars und es lang besonders nahe, einen rußlanddeutschen Absolventen dorthin zu entsenden.

 

Zur Stabilisierung der gemeindlichen Lage war gerade in Tomsk damals ein ordinierter Pfarrer vonnöten. Dort war mit russischen, staatlichen Geldern innerhalb von fünf Monaten eine Holzkirche zu Ehren der Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Boden gestampft worden. Im Rahmen von deutsch-russischen Konsultationen wohnte diese Pfarrerstochter dann der Einweihung am 27. April 2006 bei. Das war für das Tomsker Luthertum eine Zäsur, denn die ursprüngliche „Sankt Marienkirche“ war 1936 ersatzlos abgetragen worden.

 

In einem Anflug christlicher Nichtbrüderlichkeit hat sich dann die von Wsewolod Lytkin angeführte “Evangelisch-Lutherische Kirche Sibiriens” das Kleinod unter den Nagel gerissen. Diese in Akademgorodok bei Nowosibirsk beheimateten Kleinkirche ist mit der lutherischen Kirche Estlands und der konservativ-oppositionellen „Wisconsin-Synode“ in den USA verbunden. Als Eigentümerin der neuen Marienkirche war eigentlich die international anerkannte, in Omsk ansässige „Evangelisch-Lutherische Kirche Ural, Sibirien und Ferner Osten“ anvisiert gewesen, doch stattdessen ist bis heute die Kleinkirche die offizielle Eigentümerin geblieben. Die bestehenden Verhältnisse haben jedoch dafür gesorgt, daß lutherische Gemeinden zweier Benennungen in diesem Haus eine Heimat haben. Gerade diese Querelen hatten für die genannte Instabilität gesorgt. Bei Mohrs Weggang konnte er nun den Stab an Dmitri Driugin, einen ausgebildeten, lutherischen Pastor, weiterreichen.

 

Die Zukunft

Welche Hoffnungen hegt Pfarrer Mohr bezüglich seiner neuen Gemeinde? Die Jugend- und Kinderarbeit sowie der Chor sollen neuen Auftrieb erhalten; es finden weiterhin etwa 14-tägig Konzerte in der Kirche statt. Da sie schon von sich aus eine Sehenswürdigkeit darstellt, lockt die Pauluskirche fast automatisch russische und ausländische Touristen an. Eröffnet im Jahre 1909, gilt sie als die älteste Kirche der Stadt. Die Stadt befindet sich im Mittelpunkt des Personen- und Warenaustausches mit China, Japan und Korea, deshalb auch sind im kirchlichen Bereich viele weitere, ausländische Begegnungen denkbar. Besuche von benachbarten chinesischen Gemeinden hat es schon vor Jahren gegeben. Gute Beziehungen zur katholischen Gemeinde bestehen, doch ökumenische Beziehungen vor Ort bedürfen des weiteren Ausbaus. Es kommt vor, daß andere protestantische Konfessionen das lutherische Gotteshaus für das Abhalten von Trauungen anmieten.

 

Vielleicht ist die geographische Lage sowohl Vor- wie Nachteil: Tomsk liegt nur auf halbem Wege zwischen Deutschland und Wladiwostok. Ehefrau Natalia Mohr verbrachte ihr ganzes, bisheriges Leben in Tomsk – noch hat sie den vorgesehenen Umzug nach Wladiwostok nicht geschafft.

 

Die fernöstliche Propstei dieser in Omsk beheimateten Kirche könnte gleichzeitig als die eventuell größte bzw. kleinste Propstei der Welt gelten. Sie ist zwar territorial riesig, verfügt jedoch über eine Mitgliederzahl im niedrigen, dreistelligen Bereich. Sieben ihrer neun Gemeinden zwischen Tschita und dem Pazifik sind als Hausgemeinschaften ohne eigenen Kirchenbau einzuordnen - und dabei stehen die Versammlungen in Magadan und Komsomolsk-am-Amur kurz vor dem Aus.

 

Seit April 2021 ist diese Propstei offiziell ohne Propst: Auf Wunsch seines deutschen Arbeitgebers mußte der emsige US-Amerikaner Bradn Buerkle (Moskau) diese Funktion wieder abgeben. Vorerst ist Mohr auch nur für Wladiwostok zuständig; faktisch ist Buerkle weiterhin am gemeindlichen Geschehen in Fernost beteiligt. Die Ernte bzw. die Aufgaben sind wirklich riesig, doch die Arbeiter sind nur wenige.

 

Dr.phil. William Yoder

Laduschkin, den 6. August 2021

 

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