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Die Protestanten Westsibiriens rechnen mit einer glänzenden Zukunft

„Wir haben uns entschieden“

 

L a d u s c h k i n -- Der wirtschaftliche Fortschritt der westsibirischen Baptisten und Mennoniten in der Region Omsk ist geradezu atemberaubend. Während die Bewohner der ländlichen Gebiete Apollonowka und Solntsewka vor 30 Jahren noch in Holzhütten mit Außentoiletten lebten, wohnen viele von ihnen heute in Häusern aus Ziegelsteinen vergleichbar mit jeder Mittelklassegegend Nordamerikas. Der Fuhrpark in diesen beiden Dörfern, der vor drei Jahrzehnten noch untermotorisiert waren, umfaßt heute nagelneue chinesische Fahrzeuge und japanische Lexus-Modelle.

 

Ein mennonitischer Laienpastor in dem historisch mennonitischen Dorf Solntsewka nahe der Grenze zu Kasachstan berichtet, daß er seinen sieben Kindern im Alter von 14 Jahren ein Ferkel oder eine Färse geschenkt hat. Da sich Tiere in der Regel schneller vermehren als Aktien an der Börse, konnten sich seine Kinder bereits nach vier Jahren ein anständiges Auto kaufen. Hinterhofställe mit Rindern oder Schweinen sind in Solntsewka keine Seltenheit; ihre Besitzer betätigen sich nebenberuflich als Bauern.

 

Seit dem Ende der sowjetischen Kolchose sind die häufig deutschstämmigen Angestellten zu Laden- und Sägewerkbesitzern, Futtermühlenbetreibern, Metzgern, Imkern, Metallarbeitern, Bäckern, Tierärzten, Automechanikern, Schreinern und Malern mutiert. Männer im eher städtischen Slawgorod südlich von Omsk, die einst als Maschinenbauingenieure ausgebildet wurden, arbeiten heute als Klempner und Elektriker oder sind in der Möbelproduktion tätig.

 

Eine große, in Privatbesitz befindliche Getreidefarm in Apollonowka bewirtschaftet 5.300 Hektar Land. Die "Willock Farm", ein verwandtes landwirtschaftliches Unternehmen, das hauptsächlich in Medwezhe, 20 Kilometer westlich, angesiedelt ist, bewirtschaftet mehr als 6.000 Hektar mit einer großen Menge an hochmodernen, westlichen Landmaschinen. Aber auch ihre Firma "SewMaster" macht sich in Zentralasien einen Namen mit der Herstellung hochwertiger Landmaschinen und bietet ihren mehr als 50 Mitarbeitern eine Beschäftigung während der langen Wintermonate. (Siehe "www.willock-farm.ru".)

 

Der obenerwähnte Laienpastor in Solntsewka lachte lauter als nötig, als das Thema westliche Sanktionen zur Sprache kam. Er schätzt deren Wirksamkeit auf gleich Null. Anfänglich seien Inflationsängste zu spüren gewesen. Doch Kapital und Gewinnstreben sind sehr erfinderisch und auf inoffiziellen Wegen, die durch die zentralasiatischen Republiken führen, werden russische Firmen mit Ersatzteilen versorgt, selbst für Maschinen aus Deutschland. Coca-Cola kommt aus dem benachbarten Kasachstan.

 

Peter Epp, Inhaber eines metallverarbeitenden Betriebs in Isilkul, fügte hinzu: "Chinesische Ersatzteile sind billiger und fast so gut wie alles aus Deutschland. Was wir produzieren und brauchen, paßt eher zu unserem Lebensstandard als die Hightech-Produkte von Bosch." Importierte Fahrzeuganhänger kommen auf den rauen Straßen Sibiriens nicht zurecht. Epps Werkstatt in Isilkul stellt daher robuste Anhänger her, die an die örtlichen Bedingungen angepaßt sind.

 

Die derzeitigen Sanktionen schaden den Sanktionierenden möglicherweise mehr als den Sanktionierten. Jakob Dirksen, der zusammen mit David Epp Eigentümer der Willock Farm ist, berichtet, daß ihre Schulden in Kanada derzeit nicht bedient werden können. Trotz grünem Licht aus Moskau verhindert die kanadische Regierung Geldtransfers von Rußland nach Kanada. Peter Epp nannte es eine Ironie des Schicksals, daß die weit geöffneten Tore für westliche Importe "uns mehr geschadet haben als die jüngsten Sanktionen. Die Menschen haben aufgehört zu produzieren und sind stattdessen einkaufen gegangen." Fertigkeiten gingen verloren; "jetzt sind wir wieder gezwungen, produktiv zu werden".

 

In einem Gespräch nach dem Gottesdienst in Apollonowka behauptete einer der Kirchenleiter: "Materiell leben wir jetzt besser als unsere Verwandten in Deutschland." Dabei sind die fleißigen Verwandten in Deutschland nicht als unterernährt zu bezeichnen. Die Sozialleistungen und Renten sind in Deutschland deutlich höher, "aber auch hier geht es aufwärts".

 

Peter Dirksen, Landwirt und Inhaber der Bäckerei in Apollonowka, versicherte: "Ich kann reisen, wohin und wann ich will." In den letzten Jahrzehnten waren Touristen aus Apollonowka bis nach Kalifornien, Paraguay und Thailand gereist. Aufgrund der Sanktionen ist der Reiseverkehr jedoch deutlich zurückgegangen, und für Flüge nach Deutschland müssen russische Staatsbürger derzeit einen Umweg über Kasachstan oder die Türkei nehmen. Dirksen besitzt jedoch, wie eine starke Minderheit der Rußlanddeutschen, sowohl einen russischen als auch einen deutschen Paß.

 

Der Autor stellte den örtlichen Mennoniten und Baptisten die Frage, ob ihr wiedergewonnener Reichtum zu Neid bei ihren weniger begüterten russischen und kasachischen Nachbarn führen könnte. Das würde zu einer Wiederholung der "revolutionären Rache" führen, die die Mennoniten im Südosten der Ukraine vor einem Jahrhundert ereilte. Peter Dirksen entgegnete, daß zahlreiche einheimische Russen und Kasachen bei Deutschstämmigen beschäftigt sind. "Wir kennen und schätzen uns alle", betonte er. "Als wir in den dreißiger und vierziger Jahren hungerten, waren es auch Russen, die unsere Familien am Leben erhielten." Diese deutschstämmigen Großbauern gelten im Grunde nicht als landbesitzende "Kulaken", denn sie besitzen nur wenig Ackerland. Als die kommunalen Bauernhöfe (Kolchosen) in den neunziger Jahren aufgelöst wurden, bekamen ihre Arbeiter einen "Pai" Land geschenkt. Ein "Pai" oder "Anteil" besteht in der Regel aus 15 bis 18 Hektar. Dieses Ackerland wird nun an Großbetriebe verpachtet, wodurch sich der Kreis derjenigen, die vom neugewonnenen Reichtum profitieren, vergrößert.

 

Politische Angelegenheiten

Die "Omsker Bruderschaft" besteht aus 30 Baptisten- und Mennonitengemeinden vor allem westlich von Omsk, während die große Slawgoroder Gemeinde der 1961 gegründeten, landesweiten "Internationalen Union der Kirchen der Evangeliumschristen-Baptisten" angehört. Da diese beiden religiösen Gruppierungen nie beim Staat registriert wurden, sind ihre religiösen Aktivitäten im Grunde illegal. Ihre "Gebetshäuser" (das neue in Apollonowka bietet Platz für fast 900 Personen) sind offiziell Wohnungen im Besitz von Privatpersonen. Die „Zweckentfremdung“ privaten Wohnraums wird im europäischen Rußland immer mehr zu einer staatlichen Angelegenheit - nicht aber in der Region Omsk.

 

Die Behörden im Omsker Gebiet haben eindeutig eine Vorliebe für die protestantischen Unternehmer von Apollonowka und Solntsewka entwickelt. Die staatliche Förderung dieser beiden Dörfer liegt weit über dem Durchschnitt und günstige Kredite sind reichlich vorhanden. Anhaltender wirtschaftlicher Erfolg und hohe Geburtenraten machen diese abgelegenen Dörfer zu seltenen Leuchttürmen und zu einem Anziehungspunkt für staatliche Investitionen in den kargen, verlassenen Ebenen Westsibiriens. Staatliche Zuschüsse für Neugeborene sowie für Familien, die in Eigeninitiative neue Häuser bauen, haben eine sehr positive Wirkung.

 

Die Willock Farm und die Unternehmen von Apollonowka haben freiwillig Projekte übernommen, die dem Gemeinwohl dienen. Als eine Straße zwischen Apollonowka und der Willock Farm in Medwezhe fehlte, holte Willock ihren Straßenhobel und pflügte einen Weg durch die leere Steppe, ohne auf eine offizielle Genehmigung zu warten. Apollonowka litt schon lange unter dem Hochwasser im Frühjahr. Daher haben Freiwillige vor kurzem die Straßenflächen angehoben, die Gräben vertieft und das überschüssige Wasser in einen Sumpf umgeleitet. Zweidrittel der Kosten wurden von der Willock Farm und einer örtlichen Mühle übernommen, die Peter Dirksen und anderen gehört.

 

"Wir sind uns nicht sicher, warum, aber die Regierung tastet uns weiterhin nicht an", betonte eine Gesprächsrunde von Brüdern in Apollonowka nach dem Gottesdienst. "Wir genießen weiterhin völlige Freiheit." Während der partiellen Mobilisierung im September 2022 wurde keiner der mennonitischen oder baptistischen jungen Männer westlich und südlich von Omsk einberufen. Berichten aus Slawgorod zufolge wurden sogar diejenigen, die am Rande der Kirche standen und religiöse Gründe für ihre pazifistische Haltung anführten, stillschweigend nach Hause geschickt. Die jungen Männer, die nach Kasachstan geflohen waren, um der Mobilisierung zu entgehen, kehrten nach Hause zurück. Folglich haben diese Gemeinden keine gefallenen Soldaten aus dem Konflikt im Donbaß zu beklagen. Peter Epp aus Isilkul, ebenfalls Laienpastor und begabter Historiker, rief aus: "Rußland ist nicht die Sowjetunion! Zu Sowjetzeiten wären bei einer Mobilisierung wahrscheinlich sofort alle Grenzen dicht gemacht worden. Aber dieses Mal konnte jeder kommen und gehen, wie er wollte. Ich kenne niemanden in Sibirien, der bestraft wurde, weil er sich nicht an dem aktuellen Konflikt beteiligen wollte.

 

Diese Brüder bestanden darauf, daß sie Gott für die anhaltende Zeit großen persönlichen und geistlichen Segens dankbar sein sollten. Doch Peter Dirksen würzte seine Beteuerungen immer wieder mit dem Wort "poka" (für jetzt). "Uns geht es erstaunlich gut - für jetzt", sagte er. Dirksens Vater war das letzte Todesopfer in Apollonowka, das aus Glaubensgründen 1985 als 61-Jähriger in einem sowjetischen Arbeitslager ums Leben kam. An eine Aussage von Alexander Solschenizyn erinnernd fügte Wladimir Weis aus Slawgorod hinzu: "Uns geht es gut, aber alles kann sich im Laufe einer einzigen Nacht ändern. Alles, was wir haben und sind, liegt in Gottes Hand". Weis ist Laienprediger und Möbelverkäufer.

 

Doch Peter Epp glaubt, daß die einstigen Kommunisten nicht mehr tun können, was sie wollen. Die Gesetzgebung nach 1990 hat ihnen "das Recht genommen, sich so zu verhalten, wie sie es einmal getan haben".

 

Regeneration

Dem Autor fällt auf, daß die Kirchen der 1957 gegründeten Omsker Bruderschaft eine Regeneration erleben. Diese Gemeinden hatten in den späten neunziger Jahren einen Tiefpunkt erreicht, nachdem sie Abwanderungsraten von 70 bis 90 % zu verzeichnen hatten. Aber große Familien sind immer noch üblich, und die "abgeholzten Wälder" hatten nun mehr als zwei Jahrzehnte Zeit, um sich zu erholen. Diese konservativen Gläubigen sind in der Lage, die meisten der Eigenen zu behalten. Obwohl die Slawgorod-Gemeinde mehr als tausend Abgänge nach Westen zu verzeichnen hatte, ist die Zahl der erwachsenen Mitglieder wieder auf über 200 gestiegen und bis zu 400 Personen besuchen die Gottesdienste. Die registrierte Mennoniten-Brüdergemeinde in Solntsewka, die von Andrei Siemens (kein Mitglied der Bruderschaft) geleitet wird, taufte im Jahr 2022 34 Personen und hat jetzt 217 erwachsene Mitglieder, die sich in einem brandneuen Kirchenbau treffen. Die Gemeinde der Bruderschaft in Isilkul hat 130 Mitglieder, von denen jedoch nur 15 zum Zeitpunkt des Untergangs der UdSSR Mitglieder waren. Zwischen 1988 und 1990 war die Zahl der Mitglieder dieser Gemeinde von 240 auf 70 gesunken.

 

Bei einer durchschnittlichen Besucherzahl von 120 war praktisch die gesamte Gemeinde des Dorfes Iwanowka nach Deutschland ausgewandert. Drei Familien mit insgesamt 15 Personen sind jedoch zurückgekehrt, so daß die Gemeinde weiterhin funktioniert. Der Prozentsatz der nach Rußland Zurückgekehrten liegt derzeit jedoch unterhalb von 5 %.

 

Unternehmer haben in Sibirien gute Aussichten. In Deutschland sind fast alle Märkte vergeben und die Bürokratie dämpft die Initiative. Nur in Teilen Rußlands ist der Himmel noch wirklich die Grenze. In Isilkul haben junge Rückkehrer aus Deutschland sehr erfolgreiche Unternehmen gegründet, die mit Baumaterialien und Lastwagen handeln.

 

Dennoch ist es verfrüht zu behaupten, daß überall eine kirchliche Erneuerung zu beobachten wäre. Die Mitgliederzahl der registrierten Baptistengemeinden in der Stadt Omsk ist in den letzten zwei Jahrzehnten von 3.000 auf 2.000 gesunken. Sibirien leidet unter einem doppelten Schlag: Zur Auswanderung "nach Westen" gehört auch die Abwanderung in die milderen Gefilde von Kaliningrad und Südwestrußland. Nur überdurchschnittliche Löhne halten die Menschen im rauen sibirischen Klima zu Hause - die beiden hier vorgestellten Dörfer haben genau das zu bieten.

 

Die Geheimnisse des Erfolgs

Alle Befragten bezeichneten den derzeitigen Erfolg der Protestanten in der Region als einen Segen Gottes. Gott hat sie gesegnet, weil sie sich treu an die Gebote der Bibel und an die Wege ihrer Vorväter und -mütter gehalten haben. Eltern haben ihre Nachkommen mit der größtmöglichen Wertschätzung behandelt; theologische Wandlungen sind auf ein Mindestmaß beschränkt geblieben.

 

Diese Gläubigen haben klare Grenzen, und diese Grenzen wurden 1961 überschritten, als die Regierung Nikita Chruschtschows versuchte, christlichen Kindern den Atheismus aufzuzwingen. Väter gingen ins Gefängnis in der Hoffnung, ihre Kinder zu beschützen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbüßte das langjährige Oberhaupt der Bruderschaft, Nikolai Dikman aus Marjanowka, zwei Haftstrafen in den Kohleminen des arktischen Workuta. Der heute 94-jährige Patriarch wird nach dem Eindruck des Autors nicht in erster Linie für seinen Widerstand gegen den Kommunismus verehrt, sondern für die Verteidigung der Gemeinschaft und derer Familien. Die Gläubigen sehen diesen Widerstand nicht als politisch an.

 

Nikolai Dikman praktizierte, was er predigte, und Wladimir Weis stellte fest, daß in den neunziger Jahren die Auswanderung in den Gemeinden, die ihre ursprüngliche Leitung behielten, begrenzt war. "Als auch sie in den Westen gingen, blieb kaum einer zurück, und die Gemeinden gingen ein.“

 

Auch die Antwort von Peter Epp zeugt von der Bereitschaft, sich in die russische Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. "Wir bleiben nicht vor Ort, weil das Leben hier besser oder einfacher wäre. Wir haben uns entschieden und wollen am Schicksal der Völker Rußlands teilhaben. Wir alle hier sind ein Teil Rußlands." Deutschstämmige Pietisten zogen erstmals Ende des 19. Jahrhunderts in die Region Omsk.

 

Im wirtschaftlichen Bereich, so Epp, seien Menschen deutscher Abstammung tendenziell kreativ und mit einer positiven "Can-do"-Haltung ausgestattet. Formale Bildung, insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften, wird gering geschätzt. Die Menschen sind Autodidakten. Der Kopf hinter den "SewMaster"-Maschinen, David Epp, ist ein Rückkehrer aus Deutschland, der sich seine technischen Fertigkeiten durch Selbststudium und Ausprobieren aneignete. (David Epp ist der jüngste Bruder von Peter.) Ein anderer lokaler Unternehmer beklagte sich, daß junge rußlanddeutsche Männer, die im urbanisierten Deutschland aufwachsen, "nur das wissen, was sie in der Schule gelernt haben. Unsere Jungs aber sind 'Universalisten'; wir können die Jungs aus Deutschland hier nicht gebrauchen."

 

Der Konflikt in der Ukraine

Die Baptisten und Mennoniten in Westsibirien sind beunruhigt über die Forderungen, die von den Gläubigen in der Ukraine ausgehen. Die Ukrainer fordern im Wesentlichen, daß die Russen gegen die von Wladimir Putin geführte Regierung protestieren. Doch diese Gläubigen haben im Allgemeinen nie protestiert, nicht einmal gegen die despotische Herrschaft von Joseph Stalin. Wie die Amischen Nordamerikas beurteilen sie den Zustand der Welt durch die Brille dessen, was sie persönlich vor Ort in ihrem lokalen Umfeld erleben.

 

Alexander Scheiermann, der in Deutschland lebende lutherische Bischof für den Ural, Sibirien und den Fernen Osten, der nach wie vor zwischen Bielefeld und Omsk pendelt, zitierte einen Vers, der in vielen Kirchen der Sowjetzeit hinter der Kanzel angebracht war: "Wir predigen Christus, den Gekreuzigten" (1. Korinther 1,23). Der Vers war nicht zuletzt als Ermahnung an diejenigen gedacht, die auf die Kanzel steigen, sich an das Hauptthema zu halten. Die Gläubigen Sibiriens wollen nur das Evangelium verkündigen; sie sehen in der Befolgung dieses Verses nach wie vor den Garanten für ihren gegenwärtigen und künftigen Erfolg.

 

Die meisten ukrainischen Protestanten, die sich als "modern" und westlich begreifen wollen, haben sich nach Ansicht der Omsker vom schmalen Weg entfernt und sich auf die rutschige Piste der politischen Zweckmäßigkeit begeben. Die Bruderschaft betrachtet jeden Krieg als Sünde; die Geschichte selektiv in gerechtfertigte und ungerechtfertigte Kriege zu unterteilen, ist für sie ein äußerst riskantes Unterfangen. Auf die Frage, ob er die westlichen Behauptungen, Putin sei ein Faschist, unterstütze, wies Wladimir Weis die Frage als "politisch" zurück.

 

Da die ganze Erde dem Herrn gehöre, äußerte Peter Epp die Überzeugung, daß Gott sich nicht um Grenzen kümmere. "Für Gott ist es nicht wichtig, wem die Krim gehört. Uns gehört eigentlich nichts. Wir haben es nicht nötig, zu bestimmen, was mein ist und was dein ist. Diese Situation in der Ukraine ist in der Tat ein Hinweis auf unsere gegenwärtige geistliche Not."

 

Mein Kommentar: Die Weltsicht dieser russischen Evangelikalen scheint von ihren eigenen begrenzten Interessen bestimmt zu sein. Wir "westlichen Intellektuellen" lehnen ihre Perspektive eher als egoistisch und naiv ab. Dabei sind diese "Unpolitischen" als Botschafter kirchlichen Friedens besser geeignet als die politischen Partisanen. Ihr ausgeprägter Sinn für Unabhängigkeit isoliert sie tendenziell auch von zweifelhaften westlichen (und historisch östlichen) Forderungen.

 

Die Zukunft

Werden die Protestanten Rußlands angesichts der neuen Teilung unseres Globus mit neuen parallelen Kirchenstrukturen in Ost und West rechnen müssen? Riesige, unersättliche Märkte im Süden locken und Willock Farm verwendet bereits chinesisches Saatgut, um Getreide für diesen Markt anzubauen. Doch die chinesische Regierung scheint sich gegen grenzüberschreitende kirchliche Beziehungen zu wehren und die russischen Protestanten fühlen sich gezwungen, sich auf die Zusammenarbeit mit den über 30 größeren chinesischen Gemeinden auf russischem Boden zu beschränken. Diese beziehen sich vor allem auf chinesische Geschäftsleute, die in Rußland tätig sind.

 

Trotz eines drastischen Rückgangs der Besuche werden die russischen Protestanten auf absehbare Zeit kulturell und anderweitig mit ihren westlichen Kollegen verbunden bleiben. Die Russen haben bisher kein Anwachsen paralleler Kirchenstrukturen in Ost und West festgestellt. Dennoch hielt die "Europäische Evangelische Allianz" Anfang März 2023 in Warschau/Polen Leitungssitzungen ab. Die Russen waren ausdrücklich nicht eingeladen. Eine Woche später traf sich die "Russische Evangelische Allianz" mit den Allianzen Zentralasiens in Antalya/Türkei. Ist dies ein Vorbote der Dinge, die da kommen? Vielleicht gibt es bereits mehr Parallelstrúkturen, als man auf den ersten Blick erkennt.

 

Dr.phil. William Yoder

Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 4. April 2023

 

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