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Historisches Treffen von chinesischen und russischen Protestanten in Shanghai

01 Das Treffen mit Präsident Wu Wei in Shanghai am 15. April. Er sitzt in der Mitte auf der linken Seite. Das Foto ist dem Shanghaier Büro der CCC&TSPM zu verdanken.

02 Das Foto vom 16. April zeigt gut die gewaltige Größe der Kirche am Nanjing Union Theological Seminary. Der Herr in der Mitte im Anzug ist Prof. Yilu Chen, der stellvertretende Vorsitzende des Seminars. Das Foto ist dem Seminar zu verdanken.

03 Foto mit dem Pekinger Christenrat am 18. April. Die Frau in der Mitte mit dem roten Buch ist Pfr. Liu Cuimin, Generalsekretärin des Pekinger Rates. Zu ihrer Linken stehen Wlasenko, Yoder, Kartawenko und Karasew in dieser Reihenfolge. Das Foto ist Eigentum von Li Yang vom Pekinger Kirchenrat.

04 Vor der Chongwenmen-Kirche am 18. April. Das Foto ist Eigentum von Li Yang vom Pekinger Kirchenrat.

05 Der chinesische Jesus, Wandgemälde in der Chaoyang-Kirche in Peking am 18. April. Das Foto ist Eigentum von William Yoder.

 

Kluge Besucher werden mit einem großen Koffer anreisen

 
Wir müssen diesen Artikel mit der Erwähnung der Mitglieder unserer Delegation beginnen:

 

Dr.phil. William Yoder ist Kirchenjournalist und hat seit 2003 zahlreiche Artikel für die "Russische Evangelische Allianz" (REA) verfasst. Für die Dauer dieser Reise vertrat er auch die in Omsk ansässige Evangelisch-Lutherischen Kirche Ural, Sibirien und Ferner Osten (ELKUSFO).

 

Pastor Witali Wlasenko, ein baptistischer Geistlicher, ist Generalsekretär der REA.

 

Pastor Leonid Kartawenko ist Ratsvorsitzender der „All-Russischen Gemeinschaft der Evangeliumschristen“ (WSECh) und ein Ko-Vorsitzender im „Konsultativrat der Leiter der protestantischen Kirchen Russlands“.

 

Pastor Igor Karasew ist leitender Bischof der WSECh und leitet den Expertenrat des „Konsultativrats der Leiter der protestantischen Kirchen Russlands“.

 

Alle Delegationsmitglieder sind Bürger der Russischen Föderation.

 

L a d u s c h k i n -- "Unser heutiges Treffen kann als historisch bezeichnet werden!" Zum ersten Mal in der Geschichte treffen sich hochrangige Vertreter der protestantischen Kirchen Russlands und Chinas auf eigenem Boden. Dies erklärte Pfarrer Wu Wei, der Präsident der größten protestantischen Körperschaft Chinas, des "China Christian Council & Three-Self Patriotic Movement" (CCC&TSPM). Dieses Treffen mit einer russischen Delegation fand am 15. April 2024 in Shanghai statt.

 

Witali Wlasenko fügte an diesem Tag hinzu, dass dieses Treffen als der Beginn und keinesfalls als das Ende einer langen Beziehung zu verstehen sei. "Wir freuen uns auf eine Bereicherung und die Entwicklung von Initiativen auf beiden Seiten."

 

In den vergangenen sieben Jahren hat sich die REA um die Organisation eines solchen Treffens bemüht. Wlasenko fügte hinzu: "Jetzt gibt es eine Brücke, über die interessierte Christen aus China und Russland nach Belieben hin und her gehen können."

 

Alle Delegierten aus Russland waren überwältigt von der Größe Chinas. Alles erschien übergroß - ähnlich wie einst in den USA. Vierhundert Personen nahmen an einem regelmäßigen Sonntagmorgengottesdienst in Shanghais prächtiger "Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit" teil. Die sieben Jahre alte Kirche des "Nanjing Union Theological Seminary" ist so groß wie eine europäische Kathedrale. Die riesige "Chaoyang-Kirche" in Beijing, in der die Delegation zu Gast war, wird sonntags von 3.000 Gläubigen besucht.

 

Allein die Druckerei der "Amity Stiftung" in Nanjing (oder Nanking) verfügt über eine Fabrik mit einer Fläche von 33.000 m2. Sie wurde 1985 gegründet und hat über 260.000 Millionen Bibeln gedruckt; damit ist sie die größte Bibeldruckerei der Welt. Sechzig Prozent der Bibeln, die heute in Afrika verwendet werden, stammen von Amity. Das Unternehmen hat Organisationen in 142 Ländern beliefert. Von den rund 1.000 Mitarbeitern weltweit arbeiten 430 in der Druckabteilung in Nanjing. Der soziale Bereich von Amity umfasst die Arbeit mit Waisenkindern, älteren Menschen, öffentlicher Gesundheit, grüner Landwirtschaft, sauberem Wasser, Katastrophenhilfe und Fundraising. Mittlerweile kommen 70-90% der Finanzmittel aus China

 

Pfarrer Wei berichtete, dass die CCC&TSPM 38 Millionen Mitglieder zählt. Berichte aus anderen Quellen über die Zahl der nichtregistrierten Gläubigen schwanken zwischen 20 und 80 Millionen. In den USA gibt es schätzungsweise 90-100 Millionen evangelikale Gläubige. Daher bleibt die Frage offen, welches Land über die größere Zahl von Evangelikalen verfügt.

 

Und nicht zuletzt: Ausländischen Besuchern wird empfohlen, einen großen Koffer mitzubringen, wenn sie China besuchen. Er wird benötigt, um die Geschenke, die ihnen von ihren äußerst herzlichen chinesischen Gastgebern überreicht werden, nach Hause zu schleppen.

 

Leonid Kartawenko stellte fest, dass die chinesische Kirche bereits das erreicht hat, was für die Russen noch ein fernes Ziel ist. Der Konfessionalismus ist in China kaum noch existent, doch die russischen Kirchenleiter sind noch dabei, die schlimmsten Auswüchse des Konfessionalismus einzudämmen. Offiziell ist die chinesische Kirche seit 1958 post-konfessionell. Doch Insider erklärten, dass reformiert-calvinistische Stimmen am ehesten dazu neigen, die letzten Reste des Konfessionalismus hochzuhalten.

 

"Wir brauchen auch eine eigene Drei-Selbst-Bewegung", resümierte Kartawenko. Die in den 1870er Jahren entstandene Bewegung hat darum gekämpft, die chinesische Kirche zu einer selbstverwalteten, selbsttragenden und sich selbst propagierenden Größe zu machen.

 

Trotz unterschiedlicher Größe, bleiben sowohl die chinesischen als auch die russischen Protestanten eine kleine Minderheit in ihren jeweiligen Gesellschaften. Unter dem Verdacht, von ausländischen, westlichen Kräften ferngesteuert zu werden, sehnen sich die Protestanten in beiden Ländern nach Akzeptanz als legitimer Teil des nationalen Ganzen. Akzeptanz und Integration sind der Schlüssel; auch sie wollen dazugehören. Ein großes Wandgemälde in der Chaoyang-Kirche in Beijing beispielsweise zeigt einen Jesus chinesischer Ethnizität.

 

Die Mehrheit der chinesischen protestantischen Pastoren ist weiblich; die Delegation war sich einig, dass sie sich eine stärkere Beteiligung von Frauen in den russischen Kirchen wünscht.

 

Aktuelle Herausforderungen

Trotz der großen Errungenschaften und des Wachstums in den letzten vier Jahrzehnten hat die Covid-Pandemie die Zahl der Kirchenbesucher beeinträchtigt. Die Zahl der Gottesdienstbesucher in der Chaoyang-Kirche ist seit dem Ausbruch der Pandemie um 2.000 gesunken - zuvor waren es etwa 5.000. Unsere Gastgeber berichteten, dass nicht wenige einen bequemen Online-Glauben zu Hause auf dem Sofa liebgewonnen haben. Die Kirche betont daher die Vorteile der Gemeinschaft gegenüber denjenigen, die noch fehlen.

 

Registrierte chinesische Gemeinden stöhnen unter der Last der staatlichen Forderung, dass keine Minderjährigen den Gottesdienst besuchen. Nach dem Gesetz dürfen chinesische Bürger keine fremdsprachigen internationalen Gemeinden besuchen. China ist sehr misstrauisch gegenüber aus dem Ausland finanzierten Nichtregierungsorganisationen (NGOs), und ausländische Kirchen gelten als NGOs.

 

Dennoch werden von der erklärtermaßen atheistischen Regierung weiterhin große Kirchenrestaurierungen genehmigt. Shanghais Dreifaltigkeitskirche, die ursprünglich 1847 von den Briten erbaut wurde, ist erst seit dem offiziellen Ende der Pandemie wiedereröffnet worden. Die 1966 als Gotteshaus geschlossene Kathedrale war durch den Einbau eines zusätzlichen Stockwerks in der Haupthalle verunstaltet worden. Dasselbe geschah in der lutherischen "Peter-und-Paul-Kathedrale" in Moskau. In beiden Fällen wurde der unerwünschte Fußboden inzwischen entfernt, so dass die Kathedralen wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlen. In beiden Fällen befinden sich die Kathedralen auf dem Gelände nationaler Kirchenzentralen.

 

Die ehemals methodistische "Chongwenmen-Kirche" befindet sich nur einen Steinwurf vom Platz des Himmlischen Friedens im Herzen Beijings entfernt. Ursprünglich 1904 erbaut, wurde die umfassende Renovierung erst einige Tage vor dem Besuch der russischen Delegation am 18. April abgeschlossen.

 

Für die chinesische Regierung sind russische Bürger keine privilegierten Personen. Für den größten Teil des Jahres 2024 dürfen Touristen aus Deutschland, Frankreich, Italien und acht weiteren westeuropäischen Ländern ohne Visum nach China einreisen. Dieser einseitige Schritt der Chinesen umgeht die Russen. Sie müssen weiterhin erhebliche bürokratische Hürden überwinden, um ein offizielles (z. B. religiöses) Visum zu erhalten. Im Gegensatz zu den Kreditkarten aus westlichen Ländern gibt Russland keine Karten aus, die auch in China funktionieren.

 

Die CCC&TSPM ist bestrebt, ihre Kontakte zu westlichen Organisationen auf das Niveau von vor der Pandemie zurückzuholen - eine Politik, die die russischen Kirchen nicht beeinträchtigen wollen. Die CCC&TSPM will nur mit interkonfessionellen Gremien zusammenarbeiten; sie ist seit 1991 Mitglied des Genfer "Ökumenischen Rates der Kirchen".

 

Zukunftsperspektiven

 Sowohl die Gäste als auch die Gastgeber waren der Meinung, dass die westlichen Medien ein verzerrtes Bild des kirchlichen Lebens in Russland und China vermitteln. Bisher wurden Nachrichten über das jeweils andere Land fast immer über Nordamerika umgeleitet, bevor sie im anderen Land ankamen. Präsident Wu Wei schlug daher vor, ein kürzlich erschienenes Buch über die Geschichte der chinesischen Kirche, das von Chinesen selbst geschrieben wurde, direkt vom Chinesischen ins Russische zu übersetzen. Nach Ansicht vieler chinesischer Kirchenleiter bleiben selbst die wohlwollendsten Beschreibungen westlicher Beobachter dennoch westlich. Viele weitere kirchliche Veröffentlichungen müssten direkt zwischen China und Russland ausgetauscht werden.

 

Prof. Yilu Chen, der Vizepräsident des „Nanjing Union Theological Seminary“, zeigte sich sehr offen für den Vorschlag unserer Delegation, Kurzzeitseminare in englischer Sprache anzubieten in der Hoffnung, ausländische Studenten zu gewinnen. Bislang hat dieses Seminar mit 400 Studenten keine Kurse auf Englisch angeboten. Nur durch eine verstärkte Arbeit in englischer Sprache könnte die chinesische Kirche ihren Einfluss auf den globalen Osten und Süden ausweiten. Ein erster Schritt könnte der kurzfristige Austausch von Gastdozenten zwischen China und Russland sein.

 

Die Delegation betonte, dass die Unterstützung der chinesischen Diaspora in Russland und der russischen Diaspora in China ein aktuelles und dringendes Anliegen sei.

 

Die russischen Kirchen sind auch sehr an einem geschäftlichen Austausch zwischen chinesischen und russischen Firmen interessiert. Ohne einen größeren geschäftlichen Erfolg ihrer Glieder, werden die protestantischen Kirchen Russlands nie wirklich unabhängig werden. Doch aufgrund der derzeitigen politischen Unwägbarkeiten und des Gespenstes der westlichen Sanktionen zögern die Chinesen – nach Aussage eines kirchlichen Insiders - in Russland zu investieren. Im Moment scheint die Vermarktung chinesischer Produkte durch Russen in Russland - und umgekehrt - die praktikabelste Option zu sein.

 

Die nächste globale BRICS-Konferenz ist für Oktober in Kasan/Russland vorgesehen. Es besteht die Hoffnung, dass trotz des späten Termins noch Kirchenvertreter aus China teilnehmen können.

 

Die Amity Foundation wird am 19. und 20. Oktober dieses Jahres ihr 5. internationales Tischtennisturnier in Nanjing abhalten. Erwartet werden rund 1.000 Teilnehmer. Auch Spieler aus Russland sind herzlich willkommen.

 

Dr.phil. William Yoder

Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 25. April 2024

 

Für diese journalistische Veröffentlichung ist allein der Verfasser verantwortlich. Obwohl sie in Absprache mit anderen Mitgliedern der Delegation erstellt wurde, gibt sie nicht den offiziellen Standpunkt einer kirchlichen Organisation wieder. Diese Meldung darf gebührenfrei abgedruckt werden, wenn die Quelle angegeben wird. Für die Veröffentlichung von hochauflösenden Fotos hofft man auf eine Zahlung. Meldung 24-06, 1.408 Wörter.